Iran und die USA beim nuklearen Pokerspiel im Nahen Osten - September 2018

Veröffentlicht: Sonntag, 16. September 2018 11:15

 

Am 8. Mai hat Präsident Trump das Atomabkommen mit dem Irak (Joint Comprehensive Plan of Action [JCPOA] vom Juli 2015) aufgekündigt. Am 6. August wurden die Sanktionen gegen Iran, die nach der Unterzeichnung suspendiert worden waren, wieder in Kraft gesetzt. Hatte es zwischenzeitlich auf beiden Seiten Signale von Gesprächsbereitschaft gegeben, so setzte Ajatollah Khamenei, der geistliche und politische Führer Irans, dieser Hoffnung am 13. August ein Ende. Er verbot alle Gespräche mit Washington. Beobachter vergleichen die Eskalationsdynamik mit den Entwicklungen im amerikanisch-irakischen Konflikt, der im März 2003 zu einem Krieg zwischen  Washington und Bagdad führte.

Verglichen  mit der politischen Konstellation von damals ist die gegenwärtige lokale, regionale und internationale Großwetterlage von entschieden größerer Komplexität. Dies sind die Dimensionen:

  • Die Zukunft des Regimes der Islamischen Republik Iran.

    Der Konflikt zwischen Washington und Teheran eskaliert in einer Zeit erheblicher politischer und sozialer Spannungen in Iran. Dies könnte in Washington Phantasien beflügeln, den Konflikt um das Atomprogramm zu einem regimechange zu instrumentalisieren.

  • Der Konflikt zwischen Israel und Iran.

    Die Regierung Netanyahu hat das JCPOA  stets als unannehmbar und als Bedrohung der Sicherheit Israels verurteilt. Dieses Gefühl der Bedrohung hat durch die wachsende militärische Präsenz Irans in Syrien an  Nahrung erhalten. Israel hat in den vergangenen Monaten seine Entschlossenheit dokumentiert, iranische militärische Einrichtungen und Truppen auf syrischem Boden zu bekämpfen, wo es das für geboten hält. Auch mit Blick auf das iranische Atomprogramm hat Ministerpräsident stets betont, dass sich Israel alle Optionen offen halte. Vor diesem Hintergrund findet die aggressive Politik Präsident Trumps in Sachen des Atomprogramms die volle Rückendeckung aus Jerusalem.

  • Der Konflikt zwischen Iran und Saudi Arabien und dessen Verbündeten, namentlich den Vereinigten Arabischen Emiraten.

    Dieser Konflikt ist Teil eines Kampfes um regionale Vorherrschaft. Seit 2015 wird er vor allem als Stellvertreterkrieg im Jemen ausgetragen. Saudische und emiratische Truppen beteiligen sich am Krieg gegen die schiitischen Huthi-Rebellen, die von Iran unterstützt werden. Die gemeinsame Gegnerschaft gegen Iran hat zu einer Annäherung Riyadhs  an Israel geführt. Damit ist ein arabisch-israelisches „Lager“ entstanden, das von Washington angeführt wird und gemeinsam gegen Iran Front macht.

  • Die Sorge um die Energieversorgung aus dem Nahen Osten.

    Spätestens mit weiteren amerikanischen Sanktionen, die Präsident Trump für Anfang November angekündigt hat, soll Iran vollständig vom Verkauf seines Erdöls und Erdgases abgeschnitten sein. In einer Rede am 22. Juli hat Präsident Ruhani für diesen Fall die Schließung der Straße von Hormus (sie ist der wichtigste internationale Transportweg für Erdöl) angedroht. Er fügte hinzu: „Es gibt noch andere Möglichkeiten, den Ölexport zu verhindern. Hormus ist  nicht der einzige Transportweg. Es gibt noch andere“. Wenige Tage später beschossen die jemenitischen Huthis Öltanker in der Meerenge des Bab al-Mandeb,  der Meerenge zwischen dem Roten Meer und Indischen Ozean. Auch durch diese Wasserstraße fließt ein Teil des Erdölexports.

  • Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern.

    In den vergangenen Monaten ist es zu anhaltenden gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Israel und Bewohnern von Gaza gekommen, in denen etwa 140 Palästinenser getötet worden sind. Grund  dafür ist die unerträgliche wirtschaftliche Lage der Bewohner im Gaza Streifen. Sie wird durch die Ankündigung der amerikanischen Administration verschärft, die finanziellen Mittel für die UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine) weitgehend zu streichen. Im Falle einer Eskalation der Spannungen zwischen Iran und den USA können die explosive Lage in Gaza und die Frustrationen unter den Palästinensern insgesamt von Iran und der ihm nahestehenden Hizbollah im Libanon instrumentalisiert werden, um einen Gegendruck gegen die Allianz zwischen Israel, den USA und Saudi Arabien aufzubauen.

  • Die Differenzen zwischen den USA und der Europäischen Union über die Zukunft des Atomabkommens mit Iran (ICPOA).

    Die EU hat deutlich gemacht, dass sie an dem Abkommen festhalten und sich nicht den amerikanischen Sanktionen gegen Iran anschließen will. Diese neuerlichen Spannungen vertiefen den Graben zwischen Brüssel und Washington, der sich seit dem Beginn der Trump Administration in politischen, sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Fragen aufgetan hat. Im Poker um das Atomabkommen und die Sanktionen gegen Iran hat die EU zwar die schlechteren Karten, denn immer mehr große europäische Konzerne entscheiden sich gegen das Geschäft mit dem Iran. Trotzdem bedeutet der Konflikt mit Washington eine Nagelprobe für die Eigenständigkeit und Glaubwürdigkeit europäischer Politik. Der Ausgang  des amerikanisch-europäischen Disputs hat auch auf die Haltung der iranischen Regierung Auswirkungen. Eine starke und glaubwürdige europäische Politik in der Krise schürt in Teheran die Hoffnung, das sich der Auswirkungen der amerikanischen Sanktionen in Grenzen halten werden. Solange diese Hoffnung besteht, will die Regierung Ruhani ihrerseits an dem Atomabkommen festhalten. Die europäische Union ist für die Regierung Ruhani auch eine wichtige Karte im innenpolitischen Machtkampf mit den Hardlinern. Diese wollen ihrerseits das Abkommen kündigen und suchen die Konfrontation mit Washington.

  • Die künftige Rolle Chinas und Russlands im Nahen Osten.

    Moskau und Peking haben erklärt, dass sie die amerikanischen Sanktionen ignorieren und an den Wirtschaftsbeziehungen mit Teheran festhalten werden. Damit driftet nicht nur Iran weiter in Richtung auf Russland und China ab. Vielmehr verliert der Westen – und namentlich Europa - insgesamt an Einfluss im Nahen Osten. Angesichts der Nachbarschaft beider Regionen wäre dies eine folgenreiche Entwicklung: Europa würde an Gewicht bei der Lösung der Probleme und Konflikte im Nahen Osten verlieren, von denen es unmittelbar betroffen ist.

In dieser komplexen Großwetterlage ist die Frage nach der innenpolitischen Entwicklung in Iran von unmittelbarer Relevanz. Die Islamische Republik befindet sich in der größten Krise seit dem Tode ihres Gründers,  Ayatollah Khomeini, im Jahr 1989. Auch unabhängig von den Sanktionen ist die wirtschaftliche Lage der großen Mehrheit der Bevölkerung dramatisch. Die Demonstrationen der Angehörigen der mittleren und der unteren Schichten sowohl in den Städten als auch auf dem Lande  richten sich gegen die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Probleme des Landes. Dahinter aber ist unübersehbar, dass  immer breitere Teile der Gesellschaft dem System der Islamischen Republik den Rücken kehren. Präsident Ruhani konnte seine Wahlversprechen nicht halten; auf keinem Gebiet der Politik und Wirtschaft konnte er seit seiner Wiederwahl im Mai 2017 Reformen durchsetzen.

Kritik wird auch an der Außenpolitik laut: Vereinfacht gesagt stellen die Bürger die Sinnhaftigkeit des kostspieligen Engagements im Nahen Osten, namentlich in Syrien in Frage, wenn die Regierung nicht einmal in der Lage ist, den Bürgern ein Leben ohne Armut zu gewährleisten.  Damit werden zugleich die politischen, institutionellen und letztlich auch ideologischen Grundlagen der Islamischen Republik in Frage gestellt.

Bereits vor der Ankündigung der amerikanischen Sanktionen haben die Hardliner des Systems das Atomabkommen für die Wurzel aller Probleme Irans erklärt und seine Kündigung gefordert. Es war ein Kernpunkt ihrer Kritik an Präsident Ruhani. Die Politik Donald Trumps spielt ihnen in die Hände. Mit der am 13. August erteilten Absage aller Gespräche mit Washington über das Atomabkommen hat sich der geistliche  und politische Führer der Islamischen Republik auf die Seite der Hardliner gestellt.

Mit diesem Schritt wird die Stellung Präsident Ruhanis weiter unterminiert. Er wird zu einem Präsidenten auf Abruf. Auch Teile seiner Wählerschaft haben sich von der Illusion getrennt, dass Ruhani die bessere Alternative für die Zukunft des Landes bedeutet.

Szenarios

Angesichts der Komplexität des Konflikts um das Atomabkommen ist es schwierig, Lösungswege zu erkennen und Szenarien zu beschreiben. Als sicher  kann gelten, dass Iran unter keinen Umständen bereit sein wird, unter amerikanischem Druck das Atomabkommen neu zu verhandeln. Das gilt sowohl unter der Führung von Präsident Ruhani als auch einer möglicherweise anderen Regierung.  Vor dem Hintergrund seiner Kritik an Ruhanis Wirtschaftspolitik und unter dem Druck der öffentlichen Proteste könnte Ayatollah Khamenei Ruhani als Präsidenten entlassen,  und durch eine Persönlichkeit ersetzen, die den wirtschaftspolitischen Vorstellungen des Revolutionsführers entspricht.  Auch wird in Teheran offen über eine Machtübernahme durch die Revolutionsgarden spekuliert, falls die Proteste in der Bevölkerung das politische System der Islamischen Republik in Frage stellen sollten. Als Rechtfertigung eines Putsches könnte die Behauptung dienen, die Opposition wäre der verlängerte Arm einer Politik des Regimechange, die von Washington gesteuert wäre.

Trotzdem wird Teheran nach Wegen suchen, mit der internationalen Gemeinschaft im Gespräch zu bleiben. Dabei setzt die iranische Führung auf die Europäische Union. Brüssel und Teheran haben erklärt, an dem Atomabkommen festzuhalten. Iran testet jetzt aus, wie entschlossen die Europäische Gemeinschaft ist, nach einem Ausweg aus der Sackgasse zu suchen, in der sich die Beteiligten befinden. Zwar haben zahlreiche große internationale Unternehmen ihr Geschäft mit Iran in der Befürchtung amerikanischer Strafmaßnahmen bereits abgebrochen. Aber die Tür eines von der EU vermittelten Dialogs ist noch nicht geschlossen. Um ihrer Position gegenüber den USA größeres Gewicht zu geben, könnte die EU versuchen, Russland auf ihre Seite zu ziehen.

Ein Faktor von besonderer Sensibilität  im Zusammenhang mit dem iranischen Atomprogramm sind die Bemühungen Irans, die Entwicklung eines Programms weitreichender Raketen voranzutreiben. Sie stärken das Gewicht derer, die in dem iranischen Atomprogramm eine militärische Dimension erkennen, und sie wecken insbesondere in Israel (aber auch in Saudi Arabien) das Gefühl der Bedrohung durch Iran.  Verhandlungen über das iranische Raketenprogramm würden die Besorgnisse in einigen Hauptstädten im Nahen Osten hinsichtlich des Atomprogramms verringern und könnten das Tor öffnen, ohne Gesichtsverlust einige Vereinbarungen auch des Atomabkommens neu zu verhandeln.

Angesichts der Interdependenz von Konflikten innerhalb der Großwetterlage würden militärische Schritte – von wem und an welcher Konfliktlinie immer vorgenommen - unabsehbare Kettenreaktionen für die politische und wirtschaftliche Lage im Nahen Osten und mit Blick auf die internationale Gemeinschaft insgesamt auslösen. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen im Vorfeld des Irakkrieges von 2003 kann eine Logik des Krieges im Zusammenhang mit der Kündigung des Atomabkommens durch Präsident Trump nicht ausgeschlossen werden. Im Gegensatz zum Irak, dessen diktatorisches Regime weithin isoliert war, reicht der Einfluss Irans tief in den gesamten Raum vom Mittelmeer bis zur Arabischen Halbinsel. In einem Krieg würde es nur Verlierer geben.

Deshalb liegt in der gegenwärtigen Situation auch eine Chance. Sie schärft die Wahrnehmung, dass eine Lösung der zahlreichen Konflikte nur in Verhandlungen aller wichtigen Akteure des Nahen Ostens gefunden werden kann. Vor dem Hintergrund der Geschichte und der geographischen Gegebenheiten kommt Europa und Russland eine besondere Rolle als Vermittler zu. Die Ära der Politik der USA im Nahen Osten, die unter sehr spezifischen historischen Rahmenbedingungen nach dem Ende des 2. Weltkriegs eingeleitet wurde, geht ihrem Ende entgegen. Präsident Obama hat diesen Rückzug, wenn auch nicht immer mit glücklicher Hand, eingeleitet. Präsident  Trump bestätigt auf erratische Weise diese Einschätzung. Seine Politik im Nahen Osten in der ersten Hälfte seiner Amtszeit hat nur noch wenig mit kluger Einschätzung der Realitäten in der Region und amerikanischer Interessen dort zu tun. Sie zeigt vielmehr, wie weit die USA mittlerweile von jenen Kräften  und Akteuren entfernt sind, die unter den gewandelten Rahmenbedingungen der internationalen Politik die Zukunft des Nahen Ostens zu bestimmen suchen.

Udo Steinbach