Iran nach den Präsidentschaftswahlen - August 2017
Veröffentlicht: Mittwoch, 13. September 2017 10:02
Am 19. Mai wurde Präsident Hasan Ruhani für eine zweite Amtszeit (von vier Jahren) wiedergewählt. Die Wahlbeteiligung war mit 73% ebenso eindrucksvoll wie der Wahlsieg mit 57%. Die Botschaft war eindeutig: Eine große Mehrheit der Iraner will die Fortsetzung seiner Politik. Aber für welche Politik steht Ruhani? Was sind die Erwartungen seiner Wähler?
Ein Blick auf die innenpolitische Lage ist ernüchternd: die Euphorie der Wählerschaft Ruhanis steht zu der tatsächlichen Lage im Widerspruch. Diese ist von scharfer Polarisierung der politischen und ideologischen Lager gekennzeichnet. Die Folge ist Stagnation in der Innen- und Außenpolitik.
Würde Iran nach der Anzahl der landesweiten Wahlen bewertet, so wäre es einer der demokratischsten Staaten der Welt. Auf vier Ebenen wird alle vier Jahre gewählt: der Städte und Gemeinden, des nationalen Parlaments, des Staatspräsidenten und des Expertenrats, dessen Aufgabe es ist, den religiösen Führer (rahbar) zu kontrollieren und insbesondere im Falle seines Ablebens den Nachfolger zu bestimmen. 2016/17 fanden auf allen vier Ebenen Wahlen statt: Im Februar/März 2016 des Parlaments und des Expertenrats; am 19. Mai 2017 des Staatspräsidenten und der Gemeinderäte.
In allen vier Wahlen haben politische Kräfte eine Mehrheit errungen, die man im Westen als „gemäßigt“ einschätzt. Das heißt Persönlichkeiten, die im Inneren Fortschritte bei den Menschen- und Bürgerrechten und in der Außenpolitik eine – wenn auch kontrollierte – politische und wirtschaftliche Öffnung zum Westen anstreben. Ihr Pendant, die „konservativen“ Kräfte, stehen für die Fortsetzung einer streng religiös islamischen Linie im Inneren und einer Abschottung gegenüber dem Westen, insbesondere den USA. In Iran werden sie als „Prinzipalisten“ bezeichnet, da sie sich den Prinzipien von Ayatollah Khomeini, dem Gründer der Islamischen Republik, verpflichtet fühlen.
Die Prinzipalisten sind aus den Wahlen der letzten zwei Jahre geschwächt hervorgegangen.
Aber Iran ist keine Demokratie nach westlichem Verständnis. Und Wahlergebnisse sind nur ein Teil der Wirklichkeit. Sie sind Ausdruck der „republikanischen“ Dimension der Verfassung. Der Gründer der Islamischen Republik, Ayatollah Khomeini, aber hat die republikanische Dimension in einen umfassenden „islamischen“ (schiitischen) Kontext gestellt. Dieser wird durch den Revolutionsführer manifestiert. Bei ihm liegt die wirkliche Macht. Er ist Garant dafür, dass die Republik eine islamische (und nicht eine westliche) ist. Seit 1989 ist das Ayatollah Khamenei.
Bei ihm liegt auch die Entscheidung, Wahlergebnisse zu akzeptieren oder zu ignorieren.
Ayatollah Khamenei und mit ihm die Konservativen ( Prinzipalisten) sehen die Islamische Republik gefährdet. Von außen durch den Westen. Symbolisch dafür erscheint ihnen der Atomkompromiss vom Juli 2015 in Gestalt des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA). Sie konnten das Abkommen nicht verhindern. Zu groß waren die Erwartungen in der iranischen Öffentlichkeit, das Ende der Sanktionen werde die wirtschaftliche Lage des Landes verbessern. Aber eigentlich sehen sie in ihm eine Kapitulation Irans vor dem Westen.
Das Atomabkommen hat im Inneren die Spannungen zwischen dem pragmatischen und dem prinzipalistischen Lager verschärft. Präsident Ruhani hatte den Beginn seiner ersten Amtszeit 2013 mit dem Versprechen verbunden, sich für die Stärkung der Bürgerrechte, nicht zuletzt der Stellung der Frauen in Politik und Gesellschaft einzusetzen. In der Wahrnehmung der Konservativen bestand die Gefahr, dass das Atomabkommen als Trojanisches Pferd instrumentalisiert würde, die religiösen, moralischen und gesellschaftlichen Grundlagen der Islamischen Republik zu unterminieren.
Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen vom 19. Mai hat die innenpolitische Polarisierung dramatisch verschärft. In einer Rede am 12. Juni ist Ayatollah Khamenei bis an den Rand einer Drohung an Präsident Ruhani gegangen. Er erinnerte an die Regierungszeit des ersten Präsidenten der Islamischen Republik, Abolhassan Banisadr: „Die Zeiten, in denen der Präsident die Gesellschaft polarisiert hat, dürfen sich nicht wiederholen“. Banisadr wurde im Januar 1980 aufgrund von Meinungsverschiedenheiten von Ayatollah Khomeini abgesetzt. Er flüchtete nach Frankreich und lebte seitdem in Paris. Am al –Quds Tag (Tag der jährlichen Erinnerung an die Besetzung Jerusalems durch Israel; 23. Juni) skandierten Teilnehmer an der Kundgebung, an der auch Ruhani anwesend war: „Banisadr, Ruhani, nieder mit dem amerikanischen Geistlichen (Ruhani), nieder mit den Verschwörern“. Die Lage wurde bedrohlich. Die Bodygards umringten Ruhani. Er musste die Kundgebung fluchtartig verlassen.
Auch der Terrorakt vom 7. Juni hat das Ausmaß an inneren Spannungen erkennen lassen. Bewaffnete Attentäter griffen das Mausoleum von Ayatollah Khomeini an; kurze Zeit später stürmten Angreifer das Parlament in Teheran. 17 Menschen wurde getötet, 50 verletzt. Iranische Sicherheitskräfte erschossen sechs der sieben Angreifer, vier im Parlament und zwei im Mausoleum. Ayatollah Khamenei nahm den Anschlag (für den der „Islamische Staat“ die Verantwortung übernahm) als Anlass zu einer Warnung, die über den unmittelbaren Anlass hinausging. Unter dem Motto „Feuer frei!“ sagte er am Tag danach vor regimetreuen Studenten, sie sollten in bestimmten Situationen ohne Furcht vor gesetzlicher Strafverfolgung agieren. Bei „Fehlentscheidungen der Verantwortlichen“ sollten sie „die richtige Entscheidung treffen“ und „nach eigenem Gutdünken feuern“. Damit ist potentiell der Weg zu noch mehr Gewalt durch paramilitärische Schlägertrupps vorgezeichnet.
Was bedeutet die innenpolitische Konstellation für die absehbare Zukunft?
In der politischen Logik der Islamischen Republik bleibt Ayatollah Khamenei die bestimmende Persönlichkeit, auch wenn er die Stimmung in der Bevölkerung, die auf größere persönliche Freiheit und Ausweitung der Bürgerrechte ausgerichtet ist, nicht vollständig ignorieren kann. Zu Lebzeiten Khameneis wird es zu keiner einschneidenden Veränderung in der Innenpolitik kommen. Die wirtschaftliche Situation bleibt schwierig, solange das insbesondere von den USA fortgeschriebene Sanktionsregime aufrecht erhalten wird. Das schwächt die Position Ruhanis und der Regierung. Bei einer möglichen Verstärkung der inneren Spannungen haben die Konservativen und Prinzipalisten um Khamenei die Unterstützung der Sicherheitskräfte, der Revolutionsgarden und paramilitärischer Verbände wie der „Basidsch“ und „Hizbollah“. Die soeben (Juli 2017) beschlossene Verschärfung der amerikanischen Sanktionen stärkt die antiwestlichen und antidemokratischen Kräfte in Iran. Die Wirtschaftspolitik der Regierung Ruhani ist seit langem ein weiterer Streitpunkt zwischen ihm und Ayatollah Khamenei: Anstelle einer wirtschaftlichen Öffnung fordert dieser eine „Wirtschaft des Widerstands“, also den Aufbau einer sich selbst genügenden iranischen Wirtschaft.
Angesichts des hohen Alters (78 Jahre) und einer Krebserkrankung kann in absehbarer Zeit mit dem Ableben Khameneis gerechnet werden. Für die Regelung der Nachfolge ist der „Expertenrat“ (madschlis-e khubregan-e rahbari) zuständig. Seine 86 Mitglieder (ausschließlich schiitische Geistliche) wurden im März 2016 neu gewählt. Wie immer dessen Entscheidung ausfallen mag, so ist doch anzunehmen, dass keine Persönlichkeit mehr das Ansehen und politische Gewicht Ayatollah Khameneis haben wird, das letztlich in der Tatsache wurzelte, dass er 1989 noch von Ayatollah Khomeini selbst designiert worden war. Die Folge davon könnte eine Verlagerung des politischen Gewichts vom religiösen Führer zum Parlament sein. Das wäre ein weiterer Schritt in Richtung auf die Säkularisierung der Islamischen Republik, auch wenn deren in der Verfassung festgeschriebene Institutionen erhalten blieben.
Dieser optimistischen kann eine pessimistische Einschätzung gegenübergestellt werden. Danach würden die Revolutionsgarden (pasdaran) als „Königsmacher“ auftreten und einen ihnen genehmen konservativen Kandidaten durchsetzen. Die pasdaran sind die Gewinner des Systems. Sie haben eine machtvolle innenpolitische und eine lukrative ökonomische Stellung in einem auf korrupten Netzwerken beruhenden Wirtschaftssystem. Eine Schwächung des Amtes des rahbar würde auch ihre Stellung innerhalb des Systems schwächen. Ein direktes Eingreifen der Revolutionsgarden in die Nachfolge Khameneis könnte die inneren Spannungen bis an die Schwelle eines Bürgerkriegs verschärfen.
Ayatollah Khamenei ist auch einer der Architekten des regionalen Sicherheitssystems. Dessen Kern liegt im Aufbau eines von Iran dominierten sicherheitspolitischen Glacis zwischen dem Persischen Golf und dem Mittelmeer. Angesichts der Feinseligkeit des Westens, namentlich der USA, gegenüber der Islamischen Republik, der Rhetorik des regime change und der Drohung, separatistische Kräfte zu unterstützen, war die Schaffung eines regionalen Sicherheitssystems Konsens innerhalb der postrevolutionären politischen Elite. Dass dabei den schiitischen Glaubensgenossen ein besonderer Stellenwert zukommen würde, war politisch und strategisch naheliegend. Mit der Achse Teheran – Damaskus (die dort herrschende Sekte der Alawiten hat eine Wurzel im schiitischen Islam), die in den achtziger Jahren während des Krieges gegen den Irak geschmiedet wurde, war ein erster wichtiger Schritt getan. Mit der Machtübernahme der arabischen Schiiten im Irak seit dem Sturz Saddam Husains 2003 ist ein zweiter getan worden: eine starke Einflussnahme Teherans auf die politischen Entscheidungen in Bagdad.
Damit ist nicht nur die Perspektive eines „schiitischen Gürtels“ unter iranischer Vorherrschaft bis zum Mittelmeer eröffnet; Iran kann auch am Persischen Golf verstärkt Einfluss ausüben. Dafür können die Schiiten, die insbesondere in Bahrain (wo sie die Mehrheit bilden) und in Saudi Arabien (wo sie in der Öl-Provinz al-Hasa leben) unterdrückt werden, potentiell instrumentalisiert werden.
Vor diesem Hintergrund ist für Teheran nur eine politische Lösung der Krise in Damaskus akzeptabel, die den Sicherheitsinteressen Irans entspricht. Ohne die Einbeziehung Irans in einen politischen Prozess kann es deshalb keine Lösung des Konflikts um das syrische Regime geben.
Mit Blick auf die Rolle Irans in einer künftigen Sicherheitsarchitektur im Nahen Osten gibt es nur ein realistisches Szenario: die konstruktive Einbindung Irans. Dafür muss vor allem Saudi-Arabien gewonnen werden. Die iranophobe Politik der gegenwärtigen saudischen Führung vertieft die konfessionalistischen Spannungen in Nahen Osten und schafft neue Konflikte. Das hat die Krise um Qatar gezeigt. Einige der kleinen Staaten am Golf suchen realistisch und pragmatisch einen Ausgleich mit Iran. Die aggressiv anti-iranische Politik des Königreichs gefährdet den Zusammenhalt des Golf-Kooperationsrats.
Die Führungen in Riyadh und Teheran verbindet mehr als sie trennt. Zu den großen gemeinsamen Herausforderungen gehören
- der Kampf gegen den sunnitischen Dschihadismus, der beide bedroht. Nicht nur in Gestalt des Islamischen Staates, sondern auch der Gruppen in anderen Teilen des Nahen Ostens;
- die Erhaltung bzw. Wiederherstellung von stabilen staatlichen Ordnungen im Irak, Syrien und Jemen; und
- eine abgestimmte Politik bei der Vermarktung von Erdöl und Erdgas.
Auch der Politik der USA kommt mit Blick auf die regionale Rolle Irans ein entscheidende Bedeutung zu. Präsident Obama hatte mit dem Atomdeal im Juli 2015 einen großen Schritt getan, die Führung in Teheran unter Präsident Ruhani zu konstruktiver Zusammenarbeit zu gewinnen. Sein Nachfolger scheint dieser Linie nicht zu folgen. Mit seiner Polemik gegen den Atomdeal, der jüngsten Verschärfung der Sanktionen und der umfassenden Unterstützung saudi-arabischer Positionen hat er Wind in die Segel derer in Teheran geblasen, die - angeführt durch Ayatollah Khamenei – einem Ausgleich mit dem Westen ablehnend gegenüberstehen und im Nahen Osten eine isolationistische, allein an iranisch-schiitischen Interessen orientierte Machtpolitik verfolgen.
Die Wahlen in Iran 2016/17 haben gezeigt, dass große Teile der iranischen Öffentlichkeit den Wunsch hegen, ihr Land nach innen wie nach außen zu öffnen. Die Widerstände dagegen sind stark. Die Isolierung Irans spielt den Konservativen in die Hände. Iran ist ein Land mit eindrucksvollen Ressourcen materieller, aber auch menschlicher und geistiger Natur. Das Land zu isolieren, würde Iran zu einem politisch kaum berechenbaren Akteur werden lassen. Der Weg aus dem gegenwärtigen Chaos zu einer Stabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens kann nur unter Einbeziehung Irans beschritten werden.
Udo Steinbach