Die islamische Revolution – ihr historischer Stellenwert - März 2004
Veröffentlicht: Dienstag, 26. Februar 2008 18:23
Wenn die Revolution einen Einschnitt in der Geschichte der islamischen Welt hätte sein sollen, so läßt sich dies - bislang jedenfalls – nur schwer nachvollziehen. Aber wer hätte 25 Jahre nach der französischen Revolution wohl geahnt, dass weiteste Teile Europas zwischen dem Atlantik und dem Ägäischen Meer eines Tages auf den 1789 verkündeten Werten eine geistige wie politische Gemeinsamkeit aufbauen würden? Die konservative Restauration des Jahres 1814 erscheint im Rückblick jedenfalls nicht als unmittelbares Vorspiel zur Vereinigung europäischer Demokratien.
So kann eine Verortung der iranischen Revolution nur in einem zeitlich engen Radius vorgenommen werden. Als die Protestbewegungen 1978 eskalierten, war die Glut der revolutionären Jahrzehnte zwischen 1952 (Ägypten) und 1969 (Libyen) verglüht; die Flammen hatten sich als Strohfeuer erwiesen. Das über ihnen mutatis mutandis stehende Motto (in der Version der Ba’th-Partei: Einheit, Freiheit, Sozialismus) hatte zu harten innerarabischen Machtkämpfen geführt, deren wichtigste Akteure Kairo, Damaskus und Bagdad wurden. Das Ende der kurzlebigen Vereinigten Arabischen Republik (VAR; 1958 - 1961) bedeutete bereits auch das Aus für eine Vereinigung der Araber auf der Grundlage eines arabischen Nationalismus. Damit war auch die Perspektive einer wirksamen arabischen Kraft mit Blick auf eine umfassende Befreiung der Araber und die Entstehung eines eigenständigen politischen Faktors im internationalen System verstellt. Die klägliche Lähmung der Arabischen Liga gerade in den Hochzeiten des arabischen Nationalismus legt davon Zeugnis ab.
Auch vermochten die revolutionären Führungen nicht, umfassende Massenbewegungen zu mobilisieren. Aus den Revolutionen - das Militär spielte in der Regel eine große, wenn nicht ausschlaggebende Rolle - gingen Machteliten hervor, die sich früher oder später auf die Suche nach eigenen Privilegien konzentrierten. Eine sozialistische Ideologie wurde verkündet, die zu diesem Ziel manipuliert wurde. Weitreichende Verstaatlichungen in der produzierenden und in der Landwirtschaft führten nach Anfangserfolgen zu gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Erstarrung; sie war von politischer Repression begleitet. Der Mangel an Einheit und Abstimmung unter den Arabern war eine wesentliche Ursache dafür, dass die Bemühungen um Emanzipation in der internationalen Politik bald fehlschlugen. Zwischen dem unter den Arabern vielbejubelten Befreiungsschlag Nassers gegen Großbritannien, der mit der Verstaatlichung des Suez-Kanals 1956 seinen symbolischen Höhepunkt erfuhr und Nasser zum Hoffnungsträger panarabischer Nationalisten machte, und der Niederlage im Krieg gegen Israel im Juni 1967 lagen nur elf Jahre. Aber bereits in diesem Zeitraum geriet die arabische Welt in das Spannungsfeld des Ost-West-Konflikts; damit war ein weitgehender Verlust politischer Eigenständigkeit verbunden.
Bedeutet die Revolution in Iran, die im Februar 1979 als „islamische Revolution“ zu einer fundamentalen Veränderung der Machtverhältnisse in Teheran führte, einen revolutionären Neubeginn oder eine Fortsetzung des revolutionären Zeitalters im Nahen Osten? Sie ist jedenfalls insofern anders, als es sich bei ihr nach einer Anfangsphase der Proteste liberaler Kreise um ein wirkliches Massenereignis, eine Revolution von unten handelte. Damit unterscheidet sie sich wesentlich von den militärisch geführten Putschen in den arabischen Ländern. In gewisser Weise konnten die Revolutionäre - und das wird allzuoft vergessen - an eine Protestbewegung anknüpfen, die 1905/1906 nahezu zu einer weitreichenden Umgestaltung des qadscharischen Herrschaftssystems in Iran hätte führen können (Verfassungsrevolution). Auch in den programmatischen Inhalten der iranischen Revolution sollten grundlegende Unterschiede signalisiert werden. Jenseits der militärischen Dimension war die Niederlage gegen Israel zugleich ein Schlag gegen die dem Westen entlehnten Entwicklungsparadigmen und die Eliten, die sie umzusetzen gesucht hatten. Demgegenüber trat in Iran eine Tendenz hervor, politisches, entwicklungspolitisches, gesellschaftliches, ja auch wirtschaftliches Handeln in dem Islam entlehnte Koordinaten zu stellen. Die Protagonisten dieser „Re-Islamisierung“ waren nicht die etablierte politische Klasse oder andere Elemente des Staates; vielmehr war nunmehr das Volk, d.h. die Gemeinschaft der Muslime selbst aufgerufen, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Die Verwirklichung einer auf dem Islam beruhenden Ordnung durch die revolutionäre muslimische umma selbst sollte die Voraussetzung werden für die Lösung jener Probleme und Herausforderungen, an denen die säkularisierenden und verwestlichenden Eliten in den vergangenen Jahren gescheitert waren. Der Islam würde eine breitere Mobilisierungsgrundlage sein als der elitäre und abgehobene dem Westen entlehnte Nationalismus.
Die Revolution in Iran, in ihrer Endphase angeführt von einem charismatischen Geistlichen, ist - vielleicht neben dem Umbruch vom Osmanischen Reich zur Türkischen Republik - einer der weitestreichenden, von Kräften aus der Gesellschaft selbst heraus getragenen Umbrüche im Nahen und Mittleren Osten. Sie ist freilich - trotz der nach außen propagierten Andersartigkeit – Teil eines Umbruchs, der sich in den fünfziger und sechziger Jahren zwischen Nordafrika und dem Persischen Golf vollzogen hat. Sie entspringt dem Streben nach Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Entwicklung, aus dem heraus auch andere Umstürze zu erklären sind.
In ihrer Wirkung freilich kann auch sie als ein Strohfeuer betrachtet werden. In ihren entwicklungspolitischen Maßnahmen sind die geistlichen Machthaber – nur verkleidet in einen „islamischen“ Diskurs jenem Instrumentarium treu geblieben, das auch schon die arabischen Sozialisten in die Sackgasse geführt hat. Die Tatsache, dass sie über Öleinnahmen verfügten, rettete die Islamische Republik vor dem Bankrott. Dies um so mehr, als sich die wirtschaftlichen Belastungen durch den seit Herbst 1980 Iran „aufgezwungenen“ (so die iranische Wahrnehmung) Krieg dramatisch verschärften. Damit aber tappte das islamisch-revolutionäre Regime in die gleichen Fallen wie seine säkularen Vorgänger. Die Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran am 4. November 1979 und die anschließende Geiselnahme amerikanischer Diplomaten über 444 Tage brachten Teheran in einen Konflikt mit Washington, der zu einer weitgehenden Isolierung des Landes führte. Zwar war in der Tat der Irak unter Saddam Husain der Angreifer, doch weigerte sich Ayatollah Khomeini über acht Jahre, den Krieg unter halbwegs akzeptablen Bedingungen zu beenden. Die iranisch-islamische Propaganda rief in einer Weise zum Sturze der Systeme im Nahen Osten auf, wie dies – wenngleich auch mit anderem Vokabular - auch unter Nasser der Fall gewesen war. Und im Libanon wurde 1982 mit der Gründung der Hizbollah eine zweite Front aufgemacht, die durch Terror und Geiselnahme das Bild der Islamischen Republik verdüsterte.
Der geballten Belastung von Krieg, innenpolitischer, wirtschafts- und entwicklungspolitischen Fehlentwicklungen sowie internationaler Isolierung hat die Islamische Republik nicht standhalten können. Mit dem Abschluß des Waffenstillstands mit dem Irak am 20. August 1988 und dem Ableben Khomeinis am 3. Juni 1989 war die Perspektive verstellt, von der Is¬lamischen Republik Iran würden Impulse zu einer weitreichenden Neuordnung des Nahen Ostens und seiner Beziehungen zum „Westen“ ausgehen.
Die von der Islamischen Revolution geweckten Hoffnungen auf den Sturz der bestehenden Regime als der „Lakaien des Westens“ und auf die Errichtung „islamischer Ordnungen“ auf ihren Trümmern artikulierten sich in den militanten Aktivitäten extremistischer islamistischer Gruppen. Damit war freilich die Idee eines Aufstandes von unten aufgegeben worden. An die Stelle einer Revolution seitens der „islamischen Massen“ trat ein Terror, der eben diese Massen besonders hart traf. In Algerien und Ägypten nahm er ausnehmend brutale Züge an. Aber auch im Kaukasus (Tschetschenien und Dagestan) sowie in Zentralasien (Tadschikistan und Usbekistan) machten militante Gruppen den Versuch, durch den bewaffneten Kampf tiefgreifende Veränderungen der Machtverhältnisse herbeizuführen. Während sich die internationale Aufmerksamkeit auf diese Form lokaler Gewalttätigkeit richtete, unternahm Usama Bin Ladin den Versuch, die bestehenden Strukturen und Organisationen in einem globalen Netzwerk eines „islamistischen Widerstands“ zu vernetzen. Dabei konnte er sich der Unterstützung von Seiten islamistischer Regime bedienen. Erst (bis 1996) der islamischen Militärjunta im Sudan; später (bis 2001) des Regimes der Taleban, das in Afghanistan die Macht übernommen hatte. (Dass die USA und das ihnen befreundete Saudi-Arabien dabei Hilfestellung leisteten, ist ein besonders pikanter Aspekt dieser Entwicklungen.) Die entstandene Struktur sollte die „Basis“ (al-Qa’ida) für einen umfassenden Kampf gegen eine Macht sein, die Ayatollah Khomeini als „Großen Satan“ verworfen hatte. Das Terrorattentat vom 11. September 2001 war in diesem Zusammenhang nicht nur ein Schlag gegen die westliche Supermacht, sondern hatte zugleich das Ziel, eine umfassende Mobilisierung der „islamischen Massen“ gegen die USA bzw. „den Westen“ herbeizuführen. An diesem Punkt berührt sich die Dynamik der islamischen Revolution als einer Mobilisierung von unten, die es zu „exportieren“ gelten würde, mit der Logik der „Qa’ida“: grenzüberschreitende Mobilisierung muslimischer Massen durch Terror gegen „westliche“ Ziele.
In Iran selbst sind seit dem Ableben Khomeinis die Entwicklungen durch zwei Ziele bestimmt: das Überleben des Regimes zu sichern und zugleich pragmatisch die außenpolitische Isolierung zu überwinden. Das ist - die Wahlen vom 20. Februar 2004 haben es gezeigt - weitgehend gelungen. Die Demokratisierungsbestrebungen sind in der Sackgasse eines theokratischen Systems erstickt, das sich im Sinne eines westlichen Demokratieverständnisses kaum demokratisieren läßt. Außenpolitisch ist es gelungen, mit der Europäischen Union einen modus vivendi zu finden. Indem das Regime von seinen Bestrebungen abrückte, die Revolution zu exportieren, konnten auch die Beziehungen zu dem geopolitischen Umfeld weitgehend normalisiert werden. Das gilt für das konservativ-sunnitische Regime in Saudi-Arabien ebenso wie für die laizistisch-westliche Türkei. Wie schwer die Bürde der Vergangenheit sein kann, läßt sich an den iranisch-ägyptischen Beziehungen ablesen. Kairo weigert sich, volle diplomatische Beziehungen zu Teheran aufzunehmen, solange dort noch eine Straße im Zentrum nach Khalid Islambuli, dem Mörder des ägyptischen Präsidenten Sadat, benannt ist.
Das Streben nach der Verwirklichung der Sehnsucht vieler Muslime, die Moderne (mehr Freiheit und Menschenrechte) und die Tradition (einen erneuerten Islam) zu versöhnen, die die Islamische Republik für einen Augenblick verhieß, wird also weitergehen. Es ist zu hoffen, dass dies nicht – wie im Falle der französischen Revolution - über mehr als ein Jahrhundert andauern wird.