Der Südkaukasus, seine Nachbarn und die Zukunft der europäischen Energiepolitik - Januar 2009

Veröffentlicht: Freitag, 20. Februar 2009 13:14

 

 

Der südliche Kaukasus ist aus den Schlagzeilen verschwunden. Hinter den Kulissen hat sich die Diplomatie der Frage zugewandt, wie die Region dauerhaft stabilisiert werden kann. Die Antwort darauf hat dringende Aktualität erfahren, denn mit dem kurzen militärischen Konflikt zwischen Georgien und Russland im August 2008 ist die regionalpolitische Dimension in der Entscheidung bei Bau und Betreibung der Nabucco-Pipeline in den Vordergrund getreten. Die mit Blick auf Georgien entstandene Situation bringt politische Einwände in Erinnerung, die Mitte der neunziger Jahre im Vorfeld der Entscheidung, die BTC-Pipeline zu bauen, erhoben wurden: sie hatten die Gefährdung der Pipeline aufgrund der zahlreichen schwelenden inner- und zwischenstaatlichen Konflikte im südlichen Kaukasus zum Gegenstand.

Der Ausbruch des Konflikts lässt die Aufmerksamkeit naturgemäß auch auf die unmittelbare Nachbarschaft, den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Enklave Berg Karabach, gerichtet sein. Ein Versuch Aserbaidschans, diesen militärisch zu lösen, könnte das in Südossetien erlebte Szenario wiederholen.

Das Ziel von Nabucco, die Gasressourcen von Teilen Zentralasiens und des Mittleren Ostens nach Europa zu transportieren (mit dem doppelten Blick auf dessen Versorgungsinteressen sowie die Wirtschaftlichkeit der Pipeline), macht es notwenig, auch die politischen Verhältnisse jener Länder in die Bewertung einzubeziehen, die durch das Projekt berührt werden. Dabei geht es neben der Frage nach der Stabilität und internationalen Orientierung der Türkei als des vorderorientalischen Transitlandes um Iran und den Irak als potentielle Lieferländer von Gas für Europa. Schließlich ist auch die Frage nach den energiepolitischen Handlungsspielräumen Kasachstans und Turkmenistans gegenüber einem erstarkten Russland zu stellen, einen Teil ihrer Gasproduktion außerhalb des russischen Netzes über Nabucco nach Europa zu transportieren. Im Zusammenhang eines möglichen Anschlusses Ägyptens (als Lieferland) und Israels (als Verbraucherland) an die Pipeline tritt die Lage im Nahen Osten, wenngleich eher am Rande, in das Blickfeld.

Hintergründe und Verlauf des russisch – georgischen Konflikts

Russland hat seinen Anspruch auf eine dominante Rolle im südlichen Kaukasus auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1990/91 nie aufgegeben. Dabei spielten angesichts der zunehmenden Tendenzen zu politischer Eigenständigkeit sowie wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Emanzipation von Moskau insbesondere auf Seiten Aserbaidschans und Georgiens die bei Zusammenbruch der Sowjetunion ausbrechenden Minderheitenkonflikte eine instrumentelle Rolle. Das bezieht sich insbesondere auf Berg Karabach: Seit dem Abschluss des Waffenstillstandsabkommens zwischen Armenien und Aserbaidschan im Mai 1994 nahm Moskau eine Schutzmachtfunktion gegen revanchistische Ansprüche Aserbaidschans auf Seiten Armeniens und der Karabach-Armenier wahr. Das bezieht sich aber auch auf die beiden Minderheitenkonflikte, denen sich die georgische Staatsführung nach der Erklärung der Unabhängigkeit (1991) mit Bezug auf Südossetien und Abchasien konfrontiert sah. Auf die ungemein komplexen historischen Ursachen, die über das 2o. Jh. hinaus tief in das 19.Jahrhundert zurückreichen, kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Der abchasisch - georgische Krieg, dessen Ausbruch auch georgisch-nationalistischen Übergriffen in Abchasien geschuldet ist, endete mir einer Niederlage Georgiens. Dass die Abchasen, die eine Minderheit in ihrem eigenen Land waren, dabei erhebliche militärische Unterstützung von Russland erhielten, ist unübersehbar. Der Krieg endete im Mai 1994 mit einem von Moskau vermittelten Waffenstillstand, bei dessen Abschluss 250 000 Georgier aus Abchasien vertrieben worden waren. Die Einhaltung des Waffenstillstands wurde seither von einer rund 1600 Mann starken GUS-Truppe und 120 Militärbeobachtern der UNO überwacht.

Auch Südossetien strebte im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion nach territorialer Eigenständigkeit, stieß jedoch auf den Widerstand der Georgier. Kriegerische Auseinandersetzungen brachen aus. Seit Juni 1992 galt der georgisch - südossetische Konflikt durch ein in Sotschi geschlossenes und im August 2004 erneuertes Waffenstillstandsabkommen offiziell als befriedet. Basierend auf dem Sotschi-Abkommen wurde eine Gemeinsame Friedenstruppe (Joint Peace-Keeping Forces, JPKF) aufgestellt, deren primäre Aufgaben darin bestanden, den Waffenstillstand zu überwachen, die Konfliktparteien von einander zu trennen und die Sicherheit in der Konfliktzone zu gewährleisten. Um dies sicher zu stellen, wurde ein 15 km breiter Korridor um Zchinwali errichtet. Auch wurden die Konfliktparteien dazu verpflichtet, ihre nicht zu den JPKF gehörenden Einheiten abzuziehen und paramilitärische Gruppen zu entwaffnen. Die laut Vertrag insgesamt 1500 Mann umfassenden JPKF setzten sich aus Verbänden der ehemaligen Konfliktparteien zusammen: einem russischen, einem georgischen und einem nordossetischen Kontingent. Südossetien stellte Soldaten im Rahmen des nordossetischen Truppenkontingents, welches russischem Kommando unterstellt war. Das Oberkommando lag ebenfalls bei Russland, das gleichzeitig die Rolle des Hauptvermittlers im Konfliktlösungsprozess übernahm. Zwei Mal (zuletzt 2006 mit einem Ergebnis von 99%) votierten die Südosseten in Referenden für die Unabhängigkeit von Georgien.

Die georgisch-russischen Beziehungen sind seit der Unabhängigkeit Georgiens (1991) gespannt. Auch dies hat geschichtliche Hintergründe, die in der wechselvollen Gestaltung der Beziehungen zwischen Georgien, das bereits Ende des 18. Jahrhunderts unter zaristisch-russischen Einfluss geriet, liegen. Mit dem Zusammenbruch des Zarenreiches suchte sich Georgien 1918 von Russland unabhängig zu machen, wurde aber bald wieder in das nunmehr sozialistische Imperium einverleibt. Josef Stalin wurde als Iosseb Bessarionis dse Dchugaschwili 1878 in Gori geboren. Dass die beiden nach Kultur, Sprache und Religion von Georgien sehr unterschiedlichen abchasischen und südossetischen Minderheiten in die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik eingemeindet wurden, ist vor allem stalinistischer Minderheitenpolitik geschuldet. Auch mit der Unabhängigkeit verblieben die beiden Völker, wenn auch widerstrebend, im georgischen Staatsverband. Von Anfang an sah Moskau in der Manipulation von deren Unabhängigkeitsbestrebungen ein Instrument, die nationalistische Unbotmäßigkeit der georgischen Regierungen zu zügeln. Moskau beschuldigte Tbilisi, den Aufstand der Tschetschenen im Nordkaukasus zu unterstützen. In der russischen Öffentlichkeit wurden antigeorgische Ressentiments geschürt. Die georgische Gesellschaft ihrerseits demonstrierte mit der „Rosenrevolution“ vom November 2003 ihre Entschlossenheit zur friedlichen Ablösung der Herrschaft Eduard Schewardnazes (des letzten Außenministers der Sowjetunion) und zur Einleitung einer post-sowjetischen Entwicklungsphase des Landes. Im Januar 2004 wählten die Georgier Michail Saakaschwili mit 96% zum Präsidenten, Dieser, ein charismatischer, zugleich aber emotional-feuriger georgischer Nationalist, ließ von Anfang an keinen Zweifel daran, dass er der Rückführung der abtrünnigen beiden Gebiete in das georgische Staatsgebiet hohe Priorität beimessen würde.

Die Politik Russlands an seinen Grenzen im Kaukasus muss schließlich wesentlich auch im Kontext der internationalen Politik, insbesondere der Wahrnehmung der amerikanischen Politik durch die Führung im Kreml, gesehen werden. In dem Maße, in dem Russland nach dem Schock des Zerfalls der Sowjetunion unter der Präsidentschaft Wladimir Putins wieder zu einem selbstbewussten Akteur auf der internationalen Bühne auftrat, begann dieser auf „amerikanische Provokationen“ zu reagieren. Der Bau der BTC Pipeline mit dem ausdrücklichen Ziel, die Territorien Russlands (und Irans) zu umgehen, war noch unter der Präsidentschaft Bill Clintons in einer Phase der Schwäche Moskaus politisch durchgesetzt worden. Dass dies in Moskau auf Unwillen stieß, hat später Putin nicht verhohlen. Eine Reihe von Entscheidungen Präsident George W. Bush’s wurden in Moskau als Provokationen wahrgenommen. Dazu gehören die Entscheidung, in Polen und Tschechien ein Raketenabwehrsystem zu errichten und die Unabhängigkeit des Kossowo ohne Rücksicht auf die politischen Interessen und die völkerrechtlichen Bedenken Moskaus durchzusetzen. Auch das militärische Vorgehen der USA im Irak wurde in Moskau nicht gebilligt. Der konfrontativen Haltung Washingtons in Sachen der atomaren Bestrebungen Teherans ist die Kremlführung nur halbherzig gefolgt. Mit Blick auf die russischen Interessen und die Traditionen russischer Politik im Kaukasus leuchteten die roten Warnsignale in Moskau auf, als Präsident Bush auf der NATO-Tagung in Bukarest Anfang April 2008 nachdrückliche Bemühungen unternahm, den Prozess der Heranführung Georgiens an das westliche Bündnis einzuleiten. Hatte Moskau schon nicht die Aufnahme der baltischen Staaten in die Nato und die Ausweitung des „war on terrorism“ an die kaukasische Grenze verhindern können, so war doch unübersehbar, dass es nunmehr alles tun würde, um eine Annäherung Georgiens an die NATO zu blockieren. 

Zwischen Russland und Georgien kam es seit 2006 wiederholt zu Krisen. Georgien warf Russland vor, 1000 Mann in Südossetien stationiert zu haben, also doppelt so viele wie laut Vertrag zugelassen, und wertete dies als russische Teilokkupation seines Territoriums. Es behauptete auch, dass die JPKF in den in Südossetien florierenden Schmuggel involviert seien. Im Juli 2006 forderte das georgische Parlament per Resolution, die ausländischen, vor allem russischen Friedenstruppen umgehend abzuziehen und durch eine Polizeitruppe zu ersetzen. Dies wurde jedoch von russischer und ossetischer Seite abgelehnt. Auch die internationale Gemeinschaft verhielt sich diesbezüglich zurückhaltend. Präsident Michail Saakaschwili hat seit seiner Wiederwahl im Januar 2008, die aufgrund starker innerer Proteste gegen ihn notwenig wurde, unverhohlen die nationalistische Karte gespielt. Mit Blick auf die abtrünnigen Provinzen hat er Waffengewalt nicht ausgeschlossen. Über Monate eskalierende verbale Drohungen im Dreieck Tbilisi, Zchinwali und Moskau war von vereinzelter Gewalt begleitet. In der Nacht zum 7. August haben georgische Truppen auf Befehl des Präsidenten die Grenze nach Südossetien überschritten.

Die politische Lage in Georgien nach dem Krieg

Die Reaktion Moskaus war – dies zeigt vorstehende Einordnung des Konflikts – auch in seiner militärischen und politischen Reichweite vorhersehbar. Das Ziel der Operation war es nicht nur, eine Wiedereingliederung Südossetiens in georgisches Staatsgebiet militärisch zu blockieren, sondern - mehr noch – eine Konstellation zu schaffen, die es langfristig gestattet, politische und sicherheitspolitische Entwicklungen, die die Sicherheit Russlands im südlichen Kaukasus berühren, zu kontrollieren; d.h. insbesondere zu verhindern, dass sich das Einflussgebiet der NATO dort gegen den Willen Moskaus - wie im Baltikum geschehen – ausweitet. Weder lag es in der Absicht der russischen Führung, das gesamte Staatsgebiet Georgiens zu besetzen (was militärisch ohne größere Probleme machbar gewesen wäre) noch Russland in die Lage zu versetzen, eine unmittelbare Kontrolle der durch Georgien führenden Pipelines auszuüben. Mit der entstandenen Situation hat die russische Führung ihr übergeordnetes sicherheitspolitisches Ziel erreicht und zugleich Spielräume für künftige politische Regelungen sowohl für die Zukunft Südossetiens und Abchasiens als auch für sicherheitspolitische Vereinbarungen, die im Interesse Russlands liegen, offen zu halten. Diese abzustecken wird Gegenstand der Diplomatie in den kommenden Monaten zwischen Russland auf der einen und den USA und der EU auf der anderen Seite sein. Dabei ist eine Rückkehr der beiden abtrünnigen Provinzen in den georgischen Staatsverband nahezu auszuschließen; es dürfte vielmehr darum gehen, den entstandenen Zustand ohne Gesichtsverlust der involvierten Parteien abzusegnen. 

Da Washington eine - zumindest indirekte - Mitverantwortung für die Entwicklungen, insbesondere die Entschlossenheit der russischen Reaktion, zu tragen hat, ist verständlich, dass sich Präsident Bush erst einmal hinter Präsident Saakaschwili gestellt und Moskau als Hauptakteur in dem Konflikt politisch und propagandistisch in den Vordergrund gerückt hat. Wenn sich der Staub gesetzt hat, wird auch der Tatbestand wieder sichtbar werden, dass der georgische Präsident in den zwölf Monaten vor Ausbruch des Konflikts alles andere als unumstritten war. Seine Amtsführung hat 2007 Proteste ausgelöst, denen der Präsident nachgeben und sich Neuwahlen stellen musste. Deren Qualität war nicht unumstritten; und auch das Wahlergebnis von ca. 53% zeigt, dass eine starke Opposition fortbesteht. Auch ein Regierungswechsel wird die Lage in Tbilisi nicht fundamental – mit Bezug auf russische Einflussnahme - verändern.

 Wie in anderen Feldern der internationalen Politik verbinden sich Hoffnungen auf eine spürbare Modifikation amerikanischer Politik auch im südlichen Kaukasus mit dem Nachfolger Präsident Bush’s. Dies bedeutet mit Blick auf den Kaukasus und die russischen Interessen dort eine größere Sensibilität für das Interesse der „Europäer“, Stabilität und Sicherheit der Region im Einvernehmen mit Moskau herstellen zu wollen. Tatsächlich ist es auf dem EU-Gipfel in Brüssel am 1. September 2008 gelungen, eine „europäische“ Position zu beziehen. Forderungen nach Sanktionen, wie sie – nachdrücklich gefordert von Georgien - von einigen osteuropäischen (aber nicht nur von ihnen) Regierungen erhoben worden sind, wurde nicht stattgegeben. Vielmehr soll der Konflikt diplomatisch beigelegt werden. In Moskau ist dieses Angebot verhalten (weil verbunden mit dem Bestreben, das Gesicht zu wahren) positiv aufgenommen worden. Auch Washington hat die Brüsseler Beschlüsse akzeptiert. Nach anfänglichen kräftigen Reaktionen hat die Administration erkennen müssen, dass die Spielräume für Strafmaßnahmen eher begrenzt sind. Schließlich muss Russland im Boot bleiben, wenn weitere Beschlüsse im Sicherheitsrat der UNO gegen das iranische Atomprogramm auf der Tagesordnung stehen.

Die EU wird künftig die nicht leichte Gratwanderung machen müssen, aktive Solidarität mit Georgien (und seinen durchaus berechtigten völkerrechtlichen Ansprüchen) zu zeigen und zugleich in Sachen Südossetien und Abchasien geduldig auf eine pragmatische Lösung hinzuarbeiten, die der Entschlossenheit der Betroffenen Rechnung trägt, nicht mehr in einen zentralistisch regierten georgischen Staat zurückzukehren. Einer Politik Washingtons, die stärker auf Druck gegenüber Moskau und eine stärkere sicherheitspolitische Anbindung Georgiens an die NATO ausgerichtet sein würde, müsste die EU geschlossen entgegentreten. Eine neuerliche Spaltung in ein „altes“ und „neues“ Europa wäre auch für Sicherheit und Stabilität im Kaukasus kontraproduktiv.  


Noch eine offene Wunde – Nagorny Karabach 

Die Ereignisse im Konflikt um Südossetien haben die Explosivität der Lage im gesamten südlichen Kaukasus in potentiell weltpolitischer Dimension vor Augen geführt. Auch mit Blick auf die Verwirklichung des Nabucco-Projekts muss deshalb auf den Konflikt in Nagorny Karabach (Berg Karabach) hingewiesen werden.

Der Beschluss der obersten Partei- und Gebietsorgane der armenischen Enklave innerhalb Aserbaidschans im Juli 1988, Berg Karabach an Armenien anzuschließen, und die Erklärung des obersten Sowjets Armeniens im Dezember 1989, Berg Karabach Armenien anzuschließen, eskalierten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu einem offenen Krieg zwischen den nunmehr unabhängigen Staaten Armenien, Aserbaidschan und Berg Karabach. Nach wechselvollem Kriegsgeschehen kam es im Februar 1992 zu armenischen Großoffensiven, die über die Grenzen Berg Karabachs hinausgingen. Obgleich unterschiedlichste Vermittlungsversuche unternommen wurden, ging der Krieg bis zu einem vom russischen Verteidigungsminister vermittelten Waffenstillstand im Frühjahr 1994 weiter. Die militärische Auseinandersetzung endete mit der vollständigen Gebietskontrolle Karabachs durch die armenische Seite und der Besetzung von sieben weiteren aserbaidschanischen Distrikten. Die Kampfhandlungen waren von starken Flüchtlingsströmen begleitet: Nicht nur hörten die jeweiligen Minderheiten (Armenier in Aserbaidschan; Aserbaidschaner in Armenien) auf zu existieren; auch wurden ca. 580 000 Aserbaidschaner aus Karabach und den von Armenien besetzen Gebieten Aserbaidschans vertrieben. Die meisten von ihnen leben noch in Lagern .

Krieg und Kriegsergebnis haben auch in dieser Region des Kaukasus die politische Großwetterlage bestimmt, die einer Konfliktbeilegung bislang nicht günstig war. Aserbaidschan, zumindest indirekt vom NATO-Mitglied Türkei unterstützt, zu dem enge sprachliche und kulturelle Verbindungen bestehen, hat sich in den letzten Jahren zunehmend den USA angenähert. (Dieser Prozess beinhaltete freilich nicht ähnlich drastische antirussische Töne wie in Georgien.). Für Armenien ist die enge Allianz mit Moskau ein strategischer Faktor nicht zuletzt angesichts der militärischen Aufrüstung Aserbaidschans, die mit den in steigendem Maße sprudelnden Öleinnahmen finanziert wird. Baku steht bei anhaltender Besetzung eines Teils des Landes durch Armenien unter Handlungsdruck und setzt langfristig darauf, aus seiner wachsenden Bedeutung als Energielieferant politisches Potential schlagen zu können. Für Moskau ist der Konflikt ein Instrument, seinen politischen Einfluss, der auch eine militärische Komponente hat, zu rechtfertigen. 

Es bleibt zu hoffen, dass die Akteure, nicht zuletzt der aserbaidschanische Staatschef Aliyev, die Lektion des Südossetien-Konflikts gelernt haben. Jeder Versuch, die Karabach-Frage und die anhaltende Besetzung aserbaidschanischer Gebiete durch Armenien militärisch zu lösen, würde russische Reaktionen von ähnlicher Tragweite wie die soeben erlebte hervorrufen – mit negativen Auswirkungen auf die Kontrolle der Öl- und Gas-Pipelines von Aserbaidschan in die Türkei. Mit der Niederlage Georgiens im kurzen Krieg um Südossetien hat sich die militärische Ausgangslage Aserbaidschans freilich verschlechtert: die strategische Achse, die sich in den letzten Jahren im Dreieck Ankara – Tbilisi – Baku herausbildete und Druck auf Armenien ausüben sollte, sich in Richtung auf eine politische Lösung im Interesse Aserbaidschans zu bewegen, erscheint nunmehr geschwächt. Die Vermeidung eines militärischen Konflikts um Karabach muss Gegenstand einer Diplomatie sein, die neben den beiden unmittelbaren Akteuren Russland und die Türkei einbezieht. In Ankara wird ernsthaft geprüft, die Haltung Armenien gegenüber zu überdenken; eine gegenseitige Annäherung wird in Baku mit Misstrauen beobachtet.

Die Türkei – tragender Pfeiler der Energiebrücke

Der Türkei kommt mit Blick auf die langfristige Verwirklichung, Betreibung und Wirtschaftlichkeit des Nabucco-Projekts eine wichtige und komplexe Rolle zu – dies unter vier Aspekten: der Stabilität des Landes, seiner Rolle im Kaukasus, der Qualität seiner Beziehungen zu den Nachbarn Irak und Iran sowie zu den zentralasiatischen Staaten, insbesondere Kasachstan und Turkmenistan.

Die Staatskrise 2007/8 und die anstehenden Prozesse gegen eine tief im Staat nistende Verschwörung, die unter dem Namen „Ergenekon“ die Türkei in den nächsten Monaten in Atem halten wird, sowie in wachsender Zahl aufflackernde Gewaltakte mit unterschiedlichem Hintergrund haben Fragen nach der künftigen Stabilität des Landes laut werden lassen. Ohne an dieser Stelle vertieft darauf eingehen zu können, können diese Entwicklungen als Symptome eines nachhaltigen Paradigmenwechsels in der kemalistischen Türkei bewertet werden: das kemalistische staatszentrierte Verständnis des türkischen Nationalstaates wird durch das europäische Konzept des Primats der Gesellschaft vor dem Staat abgelöst, dessen Protagonist eine moderat islamistische Partei ist. Mag auch der Ausgang des Konflikts offen sein – die EU spielt hierbei mittel- und unmittelbar eine wichtige Rolle -, so kann doch eine nachhaltig negative Auswirkung auf das Nabucco-Projekt ausgeschlossen werden. Für den Fall der Fälle (wenn auch nicht wünschenswert) bleibt das Militär, dessen Akzeptanz in der Bevölkerung noch immer hoch ist, ein Garant fürStabilität. 

Das Konzept der Türkei als einer Energiebrücke ist seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und den seither vielfältigen Formen der Zusammenarbeit mit den – turksprachigen – zentralasiatischen Staaten immer nachdrücklicher ins Blickfeld aller politischen Kräfte in der Türkei – unabhängig von ihren innenpolitischen und gesellschaftspolitischen Konzepten – getreten. Allen ist bewusst, dass die Verwirklichung dieses Konzepts das außenpolitische Gewicht der Türkei und ihren Platz im internationalen System in hohem Maße mitbestimmen wird – unabhängig davon, wie sich das Verhältnis zur EU gestalten wird. Angesichts der angesprochenen starken Stellung des Militärs ist eine Form der Destabilisierung auszuschließen, die die Verwirklichung dieses Konzepts in Frage stellen würde.

Ankara hat auf den Konflikt im Kauaksus mit dem Vorschlag der Schaffung einer „Plattform der Zusammenarbeit und Stabilität“ reagiert, in der neben der Türkei Russland und die drei kaukasischen Staaten Mitglied sein würden. Damit rückt Ankara von einer Politik ab, die darauf gerichtet war, Armenien zu isolieren und unter Druck zu setzen, was – nicht zuletzt auch aufgrund der militärischen Zusammenarbeit mit Georgien – Russland entfremden musste. Es spricht für die Reife der türkischen Diplomatie, dass gleichwohl die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland, insbesondere im Erdgasbereich, ausgebaut werden konnten.
Auch gegenüber Armenien wurden, nicht zuletzt ausgehend von der türkischen Wirtschaft, Signale der Entspannung des türkisch-armenischen Verhältnisses gesendet; auf Einladung seines armenischen Counterparts hat der türkische Staatspräsident am 6. September am Fußballspiel Türkei – Armenien in Eriwan im Rahmen der Qualifikation zur Fußballweltmeisterschaft teilgenommen. Seither haben sich weitere Kontakte ergeben.

Irak und Iran ins Boot holen 

Die politischen Rahmenbedingungen zur Antwort auf die Frage, ob und unter welchen Rahmenbedingungen irakisches Erdgas in das Nabucco-Netz eingespeist werden kann, sind bis auf weiteres nur schwer und grob einzuschätzen. Sie sind naturgemäß von der Zukunft des irakischen Staates als ganzem nicht zu trennen. Langfristig aber kann die Frage vorsichtig optimistisch positiv beantwortet werden. Die Szenarien einer Stabilisierung des Landes reichen von einem stark zentralisierten System bis zu einer föderalen Ordnung mit erheblichen Spielräumen regionaler Akteure. Die Frage nach der Verteilung der Öl- und Gasressourcen wird bei weiteren Auseinandersetzungen einen hohen Stellenwert haben; vor diesem Hintergrund sind die gegenwärtigen Auseinandersetzungen im Parlament in Bagdad um die Verteilung der Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas sowie um die Zugehörigkeit von Kirkuk, über die die kurdische Verwaltung in einem Referendum abstimmen lassen will, von großer Signifikanz. Schwer vorstellbar ist, dass eine wie immer geartete Zentralregierung des neuen irakischen Staates sich der weit reichenden Verfügung über die Staatseinnahmen aus dem Rohstoffverkauf begibt. Hier sind bis auf weiteres möglicherweise sogar Konflikte programmiert. Kaum von der Hand zu weisen ist, dass die USA bemüht sein werden, auf die Vermarktung der irakischen Rohstoffe in ihrem Interesse einzuwirken. Zugleich aber dürfte eine konsolidierte irakische Regierung bestrebt sein, sich einer allzu engen amerikanischen Umklammerung zu entziehen. Auch auf Seiten der EU wird mit fortschreitender innenpolitischer Stabilisierung des Irak das Interesse an wirtschaftlicher Zusammenarbeit sowie an der Beteiligung am Wiederaufbau des Landes wachsen. Auch dabei kommt der Türkei, die bereits heute wirtschaftlich im Nordirak sehr präsent ist, ein besonderes Gewicht zu: Angesichts enger Verflechtungen und gemeinsamer Interessen (u.a. Wasser und Kurden) werden beide Länder um enge politische und wirtschaftliche Verflechtungen bemüht sein. Dabei wird die energiepolitische Komponente nicht den geringsten Stellenwert haben.

Was Iran betrifft so sind die Weichen in Richtung auf eine Westöffnung der iranischen Gasexporte im Prinzip gestellt. Iranische Erdgasexporte in die Türkei sind bereits eine Tatsache, auch wenn es seit Beginn der Lieferungen immer wieder Probleme unterschiedlicher Natur gegeben hat. Die Konkurrenz zu einem solchen Projekt ist bekannt: Für China ist Iran ein Traumpartner für seine Energieversorgung; die Chinesen haben massive Investitionen in die iranische Energiewirtschaft angekündigt. Ähnliches gilt (wenn auch nicht in der Größenordnung Chinas) für Indien. Die indisch – iranischen Verhandlungen für den Bau einer Pipeline sind weit gediehen. Die Verwirklichung der angedachten bzw. eingeleiteten Projekte stößt auf starken Widerstand der USA.

Die Türkei hat sich gegenüber amerikanischem Druck, ihre Wirtschaftsbeziehungen mit Iran einzufrieren, unbeeindruckt gezeigt. Der Besuch des iranischen Staatspräsidenten Ahmadineschad in Istanbul im August 2008 hat das Ausmaß an Pragmatismus gezeigt, in dem die beiden Länder von so gegensätzlichen politischen und gesellschaftlichen Ordnungen ihre übergeordneten Interessen an der Verstärkung ihrer wirtschaftlichen, insbesondere energiewirtschaftlichen Zusammenarbeit verfolgen. Um es dem iranischen Präsidenten zu ersparen, den obligaten Besuch am Grabmal des aus iranischer Sicht „satanischen“ Atatürk in Ankara zu verweigern, fand der Besuch als „Arbeitsbesuch“ in Istanbul statt.

Mit Blick auf Iran lässt der Besuch das Interesse erkennen, den verlockenden Alternativen im Osten und Südosten die Beziehungen zu Europa nicht zu opfern. Das liegt in der Logik der iranischen Geschichte insgesamt durch das 19. und 20. Jahrhundert. Es steht aber auch in Übereinstimmung mit dem vom früheren Präsidenten Rafsandschani in den neunziger Jahren wiederbelebten Konzept der „Seidenstraße“, innerhalb dessen sich Iran als ein Mittler zwischen Ost und West sieht.

Ob sich dieses Konzept tatsächlich in langfristige konkrete Wirtschaftspolitik umsetzen wird, wird nicht zuletzt auch vom weiteren Verlauf der Auseinandersetzung über die Atompolitik abhängen. Insbesondere militärische Maßnahmen gegen das iranische Atomprogramm würden schwer vorauszusehende Unsicherheiten bezüglich der Stabilität des Landes und seiner internationalen, und das heißt auch wirtschaftspolitischen Ausrichtung mit sich bringen.

Die Beziehungen zu Zentralasien stärken

Mit Blick auf die Rentabilität von Nabucco ist der Blick auf Zentralasien, insbesondere Kasachstan und Turkmenistan, von einiger Bedeutung. Werden die beiden Staaten einen Teil ihrer Gasexporte über Nabucco nach Europa leiten und damit ihre Abhängigkeit vom russischen Netz reduzieren?

Deutschland war unmittelbar nach der Unabhängigkeit der zentralasiatischen Staaten bemüht, politisch wie wirtschaftlich Flagge zu zeigen. Dieser Eifer hat mit den Jahren nachgelassen. Und die EU hat bis in die jüngste Zeit kein stringentes Konzept formuliert, die zentralasiatischen Staaten enger an sich zu binden. Mit der Konkretisierung der Pläne zu Nabucco hat sich dies zu ändern begonnen. Es war eine wichtige Entscheidung (nicht zuletzt auf Betreiben Berlins), trotz anhaltender Bedenken hinsichtlich des autokratischen Systems in Astana Kasachstan 2010 mit dem OSZE-Vorsitz zu betrauen. Das wird dazu beitragen, in Kasachstan seit langem erkennbare Tendenzen zu stärken, zwar weiterhin enge Beziehungen zu Russland zu unterhalten, zugleich aber Spielräume für eine Zusammenarbeit mit der EU offen zu halten. Das gilt trotz eines starken Drucks aus Moskau, exklusiv das russische Netz zu nutzen, auch für den Energiesektor. 

In Turkmenistan hat mit dem Tod des diktatorischen und xenophoben „Turkmenbaschi“ Saparmurad Niyazow im Dezember 2006 und dem Beginn der Präsidentschaft Gurbanaly Berdimuhammedows im Februar 2007 ein Prozess der politischen und wirtschaftlichen Öffnung eingesetzt. Noch ist es zu früh zu sagen, welche Auswirkungen sich mittel- und langfristig daraus für die so engen Beziehungen des Landes zu Russland ergeben. Die begonnene Zusammenarbeit mit Iran (sowie mit China) im Erdgasbereich aber lässt erkennen, dass auch Turkmenistan auf eine Diversifizierung seiner Exporte hinarbeitet und sich somit eine Perspektive der Nutzung von Nabucco eröffnen könnte. 

Schlussfolgerungen

Die Entscheidung zum Bau der Nabucco-Pipeline entspringt übergeordneten politischen und energiepolitischen Überlegungen, die hier nicht zu erörtern waren. Die dramatischen Ereignisse vom August 2008 lassen eher die Richtigkeit des Vorhabens erkennen als dass sie dieses in Frage zu stellen geeignet wären. Wenn auch energiepolitische Erwägungen nicht im Vordergrund der Entscheidung Moskaus gestanden haben militärisch einzugreifen, so sucht Russland doch ein Maß an politischer Kontrolle im südlichen Kaukasus, das es – anders als im Vorfeld der Entscheidung, die BTC-Pipeline zu bauen – jedem interessierten Akteur geraten erscheinen lassen sollte, Russland nicht einfach zu ignorieren. Dass Moskau das Nabucco-Projekt nicht unberührt lässt, zeigt auch die Hartnäckigkeit, in welcher die Russen ein Konkurrenz- und Alternativprojekt durch das Schwarze Meer und über den Balkan verfolgen.

 Eine Einbindung Russlands in einer Weise, die den Interessen aller Beteiligten entspricht, wäre mithin zu prüfen. Dies insbesondere für den Fall, dass bei Gasprom Zweifel an der Wirtschaftlichkeit dieser Pipeline („Southstream“) bestehen. Eine derartige „Einbindung“ könnte den doppelten Vorteil haben, Moskaus Interesse an politischer Stabilität im südlichen Kaukasus zu steigern sowie die Entscheidungsspielräume Astanas und Aschkabads, größere Anteile kasachischen und turkmenischen Gases über Nabucco zu transportieren, zu erweitern. Eine wie immer gestaltete „Einbindung“ Moskaus sollte jedoch die Unabhängigkeit der Mitglieder des Konsortiums, geschäftliche und geschäftspolitische Entscheidungen am Interesse der europäischen Verbraucher auszurichten, in keiner Weise gefährden.  

Die nach dem kurzen Krieg im südlichen Kaukasus und im geopolitischen Umfeld des Nabucco-Projekts entstandene Lage gefährdet die Fortführung desselben nicht. Russland hat nicht zuletzt angesichts einer mittlerweile engen Interessenverflechtung in Weltpolitik und Weltwirtschaft kein Interesse an einer direkten Kontrolle des Projekts, die letztlich nur durch eine militärische Besetzung Georgiens bzw. einen weit reichenden Regimewechsel im Sinne der Installierung eines Marionetten-Regimes von Seiten Moskaus zu erreichen wäre. Derartige Schritte würden internationale Auswirkungen haben, die Russland nachhaltig negativ treffen würden. Wenn Russland einen derart weit reichenden Schritt hätte machen wollen, so wäre dies ohne ein allzu großes militärisches Risiko für Moskau machbar gewesen. Um es klar zu sagen: Mit der entstandenen Situation, die durchaus Raum für Diplomatie eröffnet, können alle Beteiligten leben: das gilt für die EU und Russland, aber auch für die USA (die russische Unterstützung in der Iran-Frage brauchen) und Georgien (das zwar seine abtrünnigen Provinzen, in denen ohnehin die Abneigung gegen Georgien abgrundtief ist, „abschreiben“ muss, dafür aber mit einer weiteren Annäherung an die EU abgefunden wird).

Der Konflikt sollte freilich insbesondere seitens der EU als Weckruf wahrgenommen werden, ein wirtschafts- und energiepolitisch so weit reichendes Projekt in eine politische Agenda einzubringen, die ein politisch stabiles und wirtschaftlich förderliches Umfeld zu schaffen geeignet ist. Im Kaukasus muss nunmehr der Lösung des Karabach-Konflikts gesteigerte Aufmerksamkeit entgegengebracht werden. Die Bewertung der Türkei sollte stärker als in der Vergangenheit den geopolitischen und geoökonomischen Stellenwert des Landes in Betracht ziehen. Eine weitere Annäherung an die EU trägt – das hat die Vergangenheit gezeigt - zu politischer Stabilisierung und gesellschaftlicher Modernisierung bei. Dabei sollte der Kurdenfrage besonders dringliche Aufmerksamkeit gewidmet werden. Wohin immer aber das Land sich in der nächsten Zeit entwickeln mag – eine innere Destabilisierung in einem Maße, das definitiv negativ auf den Bau der Pipeline zurückwirken würde, kann ausgeschlossen werden.

Mit Blick darauf, die Rentabilität der Pipeline zu steigern, sollte sich die Politik Iran zuwenden. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass das Regime trotz innerer Verwerfungslinien stabil ist. (Bezüglich des politischen Schicksals von Präsident Ahmadineschad werden die nächsten Präsidentschaftswahlen Mitte 2009 Auskunft geben.) Jede Hoffnung auf einen „regime change“ ist eine Illusion. Jeder Versuch, einen solchen im Zusammenhang mit einem gewaltsamen Schlag gegen das iranische Nuklearprogramm herbeizuführen, schafft neue und unabsehbare Instabilitäten in der ganzen Region des Nahen und Mittleren Ostens. Die Politik der EU (und insbesondere Deutschlands) sollte ggf. bereit sein, diesbezügliche Differenzen zu der Politik der USA auszuhalten.

Der politische weiteste Kontext, innerhalb dessen das Projekt der Nabucco-Pipeline zu verorten wäre, ist der Nahostkonflikt. Auf arabischer Seite ist das Interesse an einer Verstärkung auch der energiewirtschaftlichen (aber auch sicherheitspolitischen) Zusammenarbeit mit der EU ausgeprägt. So sind Bemühungen nicht unbegründet und unrealistisch, Teile des arabischen Ergases (von der Arabischen Habinsel und aus Ägypten) über Nabucco nach Europa zu transportieren. Noch freilich liegen politische Wetterwolken über der Verwirklichung dieses Vorhabens, die sich aus der Unsicherheit speisen, in welcher Weise der Konflikt zwischen Israel und einigen seiner arabischen Nachbarn gelöst werden kann. Araber beklagen vielfach, dass sich die EU nicht in einer Weise engagiert, die ihrem wirtschaftlichen Potential entsprechen würde. Die Golfaraber beklagen zumal die Zögerlichkeit der EU, das seit langem verhandelte Freihandelsabkommen zwischen dem Golf-Kooperationsrat (GCC) und der EU abzuschließen. Ob sich diese Zurückhaltung in absehbarer Zeit ändert, ist kaum vorherzusagen. Die Kaukasuskrise hat gezeigt, dass europäische und amerikanische Interessen nicht immer deckungsgleich sind und politische Differenz sehr wohl im europäischen Interesse liegen kann. Mit Blick auf eine langfristige Stabilisierung der Gesamtsituation im Nahen Osten in Verbindung mit der Ausweitung der europäisch-arabischen Zusammenarbeit auch im Energiebereich wäre es fruchtbar, sich einer solchen Schlussfolgerung nicht zu entziehen. 

Im Kontext der Verwirklichung des Projekts der Nabucco-Pipeline liegt für die EU die Chance, im Kaukasus, in Zentralasien sowie im Mittleren Osten als politischer Akteur eine gefestigtere Statur zu gewinnen als in der Vergangenheit. Davon gehen wiederum auch positive Rückwirkungen auf die Verwirklichung energiewirtschaftlicher Interessen der EU in der Zukunft aus.